Dienstag, 15. März 2011

Das "jetzt" muss erst noch verdient werden

Man könnte schnell darüber hinweg gehen. Die Süddeutsche Zeitung hat eine neue Anzeigenbeilage geschaffen für Schüler und Studenten. Aber die SZ hat das neue Produkt "jetzt Schule und Job" genannt - und will damit an einen Mythos anknüpfen. Mein Urteil vorneweg: Durchkalkuliert, ohne Witz und blass.

Es gibt keine Gedenktage zum Montag, den 22. Juli 2002. Aber das Datum markiert eine kleine persönliche Zäsur in meinem Leserleben. Am 22. Juli hat die Süddeutsche Zeitung ihr Jugendmagazin "jetzt" eingestellt. Der Montag, er hatte vorher seit 1993 jetzt gehört. In den Haushalten der Bildungsbürger, in den Kollegstufen und Studenten-WGs blieb an diesem Tag der Rest der Zeitung den Erwachsenen vorbehalten.

Das Magazin verhielt sich gegenüber den Lesern wie gute Eltern gegenüber Pubertierenden: Sie wissen, das geht alles vorbei, aber sie nehmen sie trotzdem ernst. jetzt machte keinen Musikjournalismus, jetzt lies die Band in die zu klein gewordenen Kinderzimmer kommen. jetzt hatte kein Design, jetzt war das kryptische Graffiti in der Bahnhofsunterführung. jetzt brachte die große Stadt in die Dörfer und zeigte uns als Helden, die wir waren.

Kann die neue Anzeigenbeilage daran anknüpfen? Das Design ist brav und wenig einfallsreich. Nicht einmal vor Produktgräbern, wie man sie aus Frauenmagazinen kennt, schreckt die Redaktion zurück: "Es duftet nach Frühling und Neuanfang. Mit diesen Sachen duftest du mit." Ein paar lustige Listen, ein paar wenig originelle Interviews. Das ist alles solide, aber leider auch nett. Einzig und allein der Text von Michalis Pantelouris steht da ein wenig heraus, aber auch er ist am Ende wieder so scheiß-versöhnlich wie eine Schulpsychologin.

Die Jugendbeilage ist bis jetzt nur eine Anzeigenbeilage. Ich würde mich freuen, wenn sich das Heft das Trademark "jetzt" in den nächsten Ausgaben noch verdienen würde.

Mittwoch, 9. März 2011

Analog? Digital? Absage an den Klassenkampf der Medien

Ich kam aus dem Kopfnicken gar nicht mehr hinaus beim Lesen der treffend formulierten "Neun Thesen zum Qualitätsjournalismus von Christian Jakubetz.

Indes, der Artikel hat mich irritiert. Was Jakubetz bereits in der ersten These aufstellt ist ein Klassenmodell der Medien: digital vs. analog. Analog stirbt aus, digital ist besser. Entspricht das der Wirklichkeit?

Ich widerspreche der These vom Verschwinden des Analogen nicht, ich glaube sogar, dass die Auflösungserscheinungen so weit gehen, dass die Grenzen verwischen. Wir müssen den Klassenkampf leider absagen.

Viele klassisch-analoge Medien sind längst auf dem Weg zur hybriden Form. Die "ZEIT", auf Papier bietet in weiten Teilen längst keinen analogen Journalismus mehr. Denn das Online-Angebot ist so untrennbar verschränkt und so sichtbar, dass die "ZEIT" zu einer Marke geworden ist, die in beiden Welten zu Hause ist. Andersrum, ist ZEIT ONLINE ohne die Ergänzung durch das Blatt kaum denkbar.

ARD und ZDF besetzen - völlig zurecht und ihrem Auftrag folgend übrigens - mit ihren Mediatheken und dem redaktionellen Angebot wichtige digitale Brückenköpfe, auch wenn sie noch nicht hybrid sind.

Medien befinden sich gleichzeitig im digitalen und im analogen Zustand. Das trifft noch viel mehr auf die Journalisten zu. Richard Gutjahr ist genauso in der Abendzeitung und in seinem Blog präsent, wie er es beim BR ist. Richard hat aus Ägypten gebloggt und getwittert, das war Online-Journalismus vom Feinsten. Aber das kann er nur, weil das analoge Medium BR ihm die Ressourcen und Infrastruktur dazu bietet.

Um das Mediensystem zu beschreiben würden sich Sinus-Milieus wesentlich besser eignen. Es gibt sie dort, die Aufsteiger und Absteiger, die prekären Klickstrecken-Publizisten und die adaptiv-pragmatischen Flattr-Verlage. Digital oder Analog, das ist dann nur mehr ein Merkmal unter vielen.

Jakubetz ist konsequent, im weiteren Verlauf des Textes nur noch vom Journalismus zu sprechen, nicht mehr von den Medien, deren er sich bedient. Wenn analoge Medien und Journalisten die Möglichkeiten des Digitalen im Crossover nutzen, wird Online-Journalismus bald zum journalistischen Standard werden - auch gedruckt.