Montag, 24. Dezember 2012

Das Gott und der politische Shitstorm

Alle regen sich über die Shitstorm- und Mobbing-Kultur in Social Media auf. Dabei ahmen die Menschen nur nach, was sie in der Politik und in den Medien täglich erleben. Ein Beispiel.

Weihnachten und Neujahr inspirieren uns, wichtige Fragen zu stellen, zu deren Beantwortung wir im Trubel des Jahreslaufs nicht kommen. Was war, was wird? Geht die Welt unter? Wie halt ich's mit der Religion? Spezialisierst auf solche zeitaufwändigen Fragestellungen ist natürlich Die ZEIT, und wahrscheinlich weil man vor Weihnachten noch einen Aufreger brauchte, fragte man halt jemanden, der in seiner Unbedarftheit verlässlich ebensolche produziert: Kristina Schröder. Die entblödet sich nicht und erklärt, dass man statt der Gott auch das Gott sagen könnte. So weit, so wenig.

Und mit diesem vermeintlichen Aufreger löst die alte Tante aus Hamburg einen Kurzschluss im politischen System aus, das entweder vor Weihnachten komplett unterbeschäftigt ist und Zeit zum Plappern hat oder angesichts der immerwährenden Euro-, Finanz- und Schuldenkrise nach Entlastung sucht.

Als Erstes spricht Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) und sagt, das mache sie sprachlos. Katharina Reiche (CDU), Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, bleibt von jeglicher Sprechscham verschont und gibt von sich: "Der liebe Gott bleibt der liebe Gott."

Nun melden sich auch Männer zu Wort und stellen sich vor Klein-Kristina, zum Beispiel der Sprecher von Schröders Ministerium, Christoph Steegman. Er verweist weise auf die höchste irdische Autorität bei diesem Thema: den Papst. Das kann der Leiter des Kommissariats der katholischen deutschen Bischöfe, Karl Jüsten, nicht so stehen lassen und nimmt Schröder ebenfalls in Schutz, weil das Ganze mit den "Kategorien des Gendermainstreamings" nicht zu fassen sei.

Bei der ZEIT hat man sich dieses wohl-inszenierte Domino des Sinnfreien wahrscheinlich mit Vergnügen angeschaut, konnte aber nicht umhin, auch noch einen Kommentar nachzuschießen, welche Belastung Schröder für die Union sei.

Hätte dieser Flashmob der Unbedarften seinen Ursprung auf Facebook gehabt, hätten sich genau die gleichen Leute über die Diskussionskultur dort beklagt. Wahrscheinlich wären Forderungen nach Mäßigung (Die ZEIT), dem Internet-Radierer (Ilse Aigner) oder einem grundsätzlichen Verbot von Facebook und allem anderen (Innenminister Friedrich) aufgekommen. So aber suhlt sich das politische System samt der beteiligten Medien im selbst aufgewirbelten Dreck und findet es auch noch schön.

Samstag, 22. Dezember 2012

2013: Kommunikation wird eine Frage des Respekts

R-E-S-P-E-C-T, find out what it means to me. Wir Kommunikationsexperten sollten lernen, Respekt zu buchstabieren. Wir werden ihn brauchen, denn es hat sich einiges geändert, und das wird spätestens 2013 voll auf unser Arbeitsfeld durchschlagen.

R-E-S-P-E-C-T, Respekt kommt von Rücksicht nehmen, berücksichtigen. Kommunikation wird noch komplexer werden, weil wir neue Variablen in unser Rechnung haben und berücksichtigen müssen. Was ist neu?

1. Das Mediensystem ändert sich - grundlegend
Klassische Medienarbeit wird schon lange tot gesagt. Das ist dummes Geschwätz. Ohne die Strahlkraft und die Reichweite klassischer Medien ist es sehr schwierig, neue Punkte auf die öffentliche Agenda zu setzen. Natürlich informieren sich die Menschen über Social Networks, natürlich gibt es gute Blogs, die besser informiert und schneller sind als die klassische Tageszeitung. Das ändert aber nichts an der Impulskraft, die ein guter Beitrag in einem Leitmedium hat.

Und trotzdem: Das Ende der FTD und der FR waren nur Vorboten. Tatsächlich funktioniert das Geschäftsmodell der meisten Printmedien nicht mehr. Und ja: Auch das Geschäftsmodell des guten Journalismus muss überdacht werden. Wir als Medienarbeiter haben es mit weniger Ansprechpartnern in den Redaktionen zu tun, die noch weniger Zeit haben und von noch mehr PR-Leuten belagert werden. Wir müssen deshalb mehr bieten als bisher. Für die Ansprache der Redakteure heißt das zum Beispiel: die exklusivere Geschichte, den kompetenteren Ansprechpartner, die bessere Idee.

Respekt gegenüber den Journalisten in den klassischen Medien heißt: Wir bringen mehr und bessere Inhalte aus dem Unternehmen an die Medien; gut produziert, multimedial angereichert und ohne Fixierung auf die Selbstdarstellung.

2. Neue Beta-Öffentlichkeiten organisieren sich selbst und rasend schnell
Mit diesen Inhalten werden Unternehmen selbst ein wenig zu Medienproduzenten. Und es wäre dumm, die nur an die Medien zu geben. Zu den neuen Variablen gehören sich viele, sich selbst organisierende Öffentlichkeiten. Die meisten Alpha-Blogger haben sich weitgehend komfortabel und profitabel eingefügt in das Geben und Nehmen auf dem PR-Markt. Ein Aufstand der Unzufriedenen ist nicht zu erwarten.

Eine Ebene darunter wird es spannend. Jenseits der abgestandenen Blogger-Pose entstehen immer mehr gute Beta-Blogs. Diese Blogger sind öfter weiblich als männlich, sie sind schnell, sie fokussieren auf ein Thema und sie sind nicht mehr von den klassischen Medien und ihren Nachrichtenfaktoren sozialisiert. Sie sind vernetzt und haben in ihrer Community eine treue Gefolgschaft. Sie nutzen auch Facebook wie einen Blog und zapfen damit die soziale Dynamik an. Sie haben das Potenzial, uns Kommunikatoren komplett zu überraschen, positiv wie negativ.

Respekt gegenüber diesen neuen Rädelsführern der Öffentlichkeit heißt: Wir müssen genauer hinhören, die relevanten Sprecher identifizieren und sie gewinnen. Das Zusammenspiel mit ihnen wird höchst persönlich, höchst individuell und nicht immer werden wir das bekommen, was wir uns wünschen. 

3. Misstrauen wird die galaktische Konstante aller Kommunikation 
Das liegt vor allem an einer Tendenz: ein grundsätzliches, fast bösartiges Misstrauen im Social Web. Das Social Web ist eine Sauna: Wir sind alle nackt, aber deswegen beäugen wir uns nur umso kritischer. Schon kleinste Abweichungen und Annäherungen werden aufgebauscht. Im Zweifelsfall löst schon eine Geste die große Entrüstung aus. Das trifft Unternehmen genauso wie Parteien, Organisationen, Institutionen und letztlich uns alle. Sie alle müssen diese neue, aufgeblasene Aufregung aushalten.

Respekt gegenüber den neuen Öffentlichkeiten heißt, mit dem Sturm im Wasserglas zu rechnen und den Kunden darauf vorzubereiten. Wenn wir gut sind, nehmen wir das Momentum der Aufregung auf und nutzen es, um die Diskussion weiter zu bringen und neue Öffentlichkeiten anzusprechen.