Donnerstag, 8. März 2012

Wulffs Zapfenstreich ist richtig

Heute Abend werden wir sehen, wie wichtig und richtig der Zapfenstreich für Wulff ist. "Abschied aus Bellevue" nennt die ARD die Übertragung - das hört sich an wie eine ZDF-Schnulze am Sonntag Abend. Das passt zu dem halbseidenen Traumpärchen, dass da mit Pomp aus dem Schloss geworfen wird.

Dass Wulff den Großen Zapfenstreich bekommt ist keine letzte Ehre für ihn. Es ist eine letzte und endgültige Demütigung, die er über sich ergehen lässt - vielleicht auch, um Buße zu tun.

Wie leicht wäre es gewesen, auf den Staatsakt zu verzichten, heimlich zu verschwinden wie ein Dieb in der Nacht und den Ehrensold zu kassieren. Aber der Staatsbetrieb ist erfrischend wehrhaft, die Demokratie hängt die Schurken nicht mehr auf, sie stellt sie bloß.

Und genau das wird Wulff heute passieren. Eine ganze Nation wird sehen, wie die Demokratie dem gefallenen Präsidenten den Marsch bläst. Der Staat zeigt dem politischen Personal, dass es auch ohne sie geht, dass eine lebendige Demokratie sehr gut mit Berlusconis aus Niedersachsen umgehen kann. Hier spielt die Musik.

Man macht aus deutschen Eichen zu Recht keine Galgen für die Reichen. Aber das Stabsmusikkorps wird heute zeigen, aus welchem Holz die Bundesrepublik geschnitzt ist.

Sonntag, 4. März 2012

Das ist Punk, Mann. Lass dir die Haare schneiden


Wir brauchen viel mehr Punk. Wir brauchen einen realistischen, unaufgeregten Umgang mit Social Media, wir brauchen mehr Respekt vor den Leuten, die uns in Social Media begegnen, und wir brauchen sehr viel weniger Respekt vor der "Netzgemeinde". Wir sind die 90 Prozent.

Wir erleben gerade die Geburtsschmerzen einer popularisierten, demokratisierten Netzgesellschaft. Ein in sich weitgehend geschlossener Zirkel von Netz-Gurus und Social Media Priesterinnen wehrt sich noch dagegen. Widerstand aber ist zwecklos. Die Popularisierung einer Innovation, eines neuen Gedankens oder einer neuen Technik geht unvermeidlich mit Umbrüchen einher.

Nur her damit. Der Zustand der "Netzgemeinde" ist ziemlich traurig, die Debattenkultur nicht der Rede wert. Es zeugt schon von feinem Gespür für die Bewegung in der Netzwelt, wenn Hilmar Klute in der Süddeutschen vom Wochenende die Gesinnungsjäger anprangert, die mit künstlicher Aufregung im Netz auf alles zeigen, was nicht oder was zu sehr dem Schönen, Reinen, Guten entspricht.

Der reinen Lehre des Netzes werden notfalls die Regeln des Anstandes und des Umgangs miteinander geopfert. "Dialog" soll es immer sein, "authentisch", "auf Augenhöhe", damit die "Wisdom of the Crowd" zum Tragen kommt. Alles richtig. Nur leider wird es nicht funktionieren, solange der Dialog darin besteht, dass das eine Prozent der "Netzgemeinde" den neun Prozent der Proll-Aktivierten dabei applaudierend zuschaut, wie sie den 90 Prozent der Netznutzer ihre ärschlings-hysterische, uninfomierte Aufgeregtheit ins Gesicht streckt.

Eine Analogie drängt sich auf. Als sich das eine Prozent der Bürgerbewegung Ende der 60er Jahre so weit durchgekämpft hatte, dass die Ideen des Protests gesellschaftlich akzeptiert wurden, kamen die neun Prozent der Hippies, malten das Ganze in grellen Farben an und sangen sich einen dazu. Hippie zu sein war schick. Und wieder mussten 90 Prozent den sexuell und hierarchisch Befreiten beim schönen Kommunenleben zusehen.

Auch die Netzgemeinde kennt ihre Uschi Obermaiers und Rainer Langhanseln. Sie sind unvermeidliche, wahrscheinlich notwendige, flamboyante Singularitäten, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Gegenbewegung zu den Social Media Hippies aber ist schon unterwegs. An den Rändern der Netzgemeinde hören schon die ersten die dreckigen, rotzigen Akkorde des Punk.

Die Netzgemeinde macht es sich zu einfach, sie ist zu bequem und hat ein bisschen zu viel Spaß, eine Sau nach der anderen durchs Dorf zu jagen. Da hilft es auch nichts, bunte Haare zu tragen und in Talkshows aufzutreten. Der Punk wird kommen. Hey punk, where are you going with that flower in your hair?